Sonntag, 30. Juli 2006
Moskau –
Ich bin begeistert, Moskau ist alles andere als langweilig. Die Stadt ist von einem geheimnisvollen und mehrfachen Wandel erfasst: überall wird gebaut, der kurze Sommer hier muss genutzt werden, die wachsende (aber ungerecht verteilte) Wirtschaftskraft entfaltet sich, die Jugend ist stark ausdifferenziert und hat ihren eigenen Kopf und Stil, die sich in Grafittis, In-Kneipen und Openair- Konzerten ausdrücken ... So wird berichtet, dass Studenten auf dem Dach der sagenumwobenen GMU/ Lomonossov-Universität Fussball spielen! In 500m Höhe. Mit Blick über Moskau.
und endlich: die sagenumwobene Staatliche Moskauer Universität
Man hat hier das Gefühl, dass alles möglich ist. Diese Stadt lebt. Übrigens: Moskau ist eine Reise wert – und mit dem Flugzeug nur 2,5 Stunden von München entfernt.

Moskau ist teuer – aber hallo!
Immer noch erliege ich dem Trugschluss, dass wenn ein Preis ein Mehrfaches als der €-preis ist, das Produkt aufgrund der bestimmt inflationären Währung verdammt günstig sein müsste. Falsch – würde man sich dieser leicht euro-zentrischen Voreinstellung befreien, und ganz objektiv die Preise betrachten, fiele einem auf, dass vieles kaum günstiger – und bestimmt meist teuer ist... Ganz zu schweigen von gewissen Bars, in denen die bysnessmeny verkehren.
Da kostet dann ein Bier so 800 Rubel, also 22,56€. Nein, München ist nicht teuer.

Moskau ist schnell und laut
• Moskau ist vor allem laut: insbesondere mein Kühlschrank, die Straßen, der Verkehr und das turtelnde Krähenpärchen, das sich ihr Liebesnest auf dem Botschaftsgelände gesucht hat – direkt vor meinem Zimmer. Da ich zu einer der Lärm unempfindlichsten Tiefschläfer gehöre, ist das durchaus beachtlich. Den Kühlschrank aus zustecken, bringt nur Ärger, so leben der Kühlschrank und ich in hasserfüllter Koexistenz, und er genießt jeden Augenblick in dem er wieder Anlauf nimmt um sich wieder herunter zu kühlen – alle 10 Minuten! Zu jeder Tages- und Nachtszeit. Diesen Exkurs über meinen Kühlschrank ist nur so zu erklären: das hier ist ein Egodokument, und dies sind auch leider nur Eindrücke und nicht Einblicke.
• Taxifahrten sind multifunktional, günstig, schnell und sehr aufschlussreich, denn man lernt die Straßen Moskaus kennen, neue Verhandlungsstrategien, wie man auf keinen Fall Auto fahren sollte und man lernt die zu Stoßzeiten überfüllten Metros schätzen. Aber die Preise sind fair.
• Wo ich gerade beim Thema bin, das gefährlichste in Moskau ist der Verkehr. So soll es in dieser Stadt pro Jahr 13.000 Verkehrstote geben. Gott sei dank, hat der sich um alle und alles sorgende Putin und der Bürgermeister der Stadt Moskau, dies auch schon bemerkt und wollen entschieden dagegen vorgehen – und Fußgänger verbieten? Nein, natürlich nicht, sondern Strafen für Raser einführen- aber wie eine ganz rasende Stadt bestrafen? Wir sind gespannt.

Moskau ist langsam – ist Moskau langsam?
Vor allem seine Menschen und der Dienstleistungssektor (dazu später noch mehr). Dies bitte ich positiv zu verstehen, denn man hetzt nicht so. Öffentliche Plätze arten nicht in ein geheimes zielloses Wettrennen aus. Vielleicht ist es auch nur meine Wahrnehmung, da Moskau in der slawischen Literaturwissenschaft eher als langsam, statisch und klassisch beschrieben wird- im Gegensatz zum brodelnden Sankt Petersburg.

Moskau ist international und gleichzeitig russifiziert
• Hier sind viele Ausländer, sowohl aus GUS-Staaten, aus Zentralasien, Afrika und Asien: aber eben auch aus Europa – allerdings vergleichsmäßig wenig russophile Deutsche im europäischen Vergleich. Sushi essen ist hier schon längst nicht mehr in, sondern üblich. Es gibt so viele japanische Restaurants wie bei uns Italiener. In Bahnunterführungen kann man afrikanische Kleidung kaufen, und Döner gibt’s auch überall – und nicht nur in kebeb xaus. (x = ch).
• Theater: war jetzt in Tschechovs „Kirschgarten“ und den „3 Schwestern“ im Majakovskij-Theater – inszeniert von einem Litauer. Das wirklich spannende: die Stücke wurden auf Litauisch vorgetragen und wir hatten Ohrstecker mit russischer Übersetzung im Ohr. Gastspiele aus aller Welt sind gang und gebe, aber dass ein ehemals „kleiner Bruder“ in dessen Landessprache ein russisches Stück spielt? Der einzige Wehmutstropfen an diesem Abend – ein sehr gutes Open-Airfestival der Stadtzeitung Afisha fand zeitgleich statt. Wie gut, dass die anderen es nicht gefunden hatten. Und mir nur Julia vorschwärmte.
• Bei meinen häufigen Besuchen in Lebensmittelgeschäften stoße ich auf alle Sorten Bier, sogar Franziskaner und Spaten, nur der August ist nicht im Sortiment. (@Anne + Edwin: aber ein Bier vom Hohenlohe-Kreis).
• Eine kurze Bemerkung zur Jugend und Damenwelt. Beide, v.a. die Schnittmenge aus beiden, haben nun den internationalen, für Russland noch unüblichen burschikosen H&M-Stil für sich entdeckt – und wir kommen mit Turnschuhen in Tanzlokalitäten und stellen ganz ungewollt eine Kleidungs-Avantgarde dar.
• Politisch gesehen, sind sowohl vereinheitlichende Tendenzen am Werk – siehe den Erlass des Terroristengesetzes und des Journalistengesetzes , aber eben auch fleißige NGOs und Wahlalternativen. Beides nachvollziehbar, verfolgt man die Diskussionen was nach Putin, dem starken Mann, kommen wird. Bezüglich der Sprachpolitik bewegt sich Russland nur langsam, Mehrsprachigkeit ist zwar meist der Alltag der Menschen der GUS-Staaten, aber die Bildungspolitik Russlands richtet sich nur langsam auf internationale Standards aus.
• Auch bemüht sich Moskau nicht gerade um Touristen: fast nichts ist in einer Fremdsprache wie Englisch oder Französisch ausgeschrieben. Nur am Flughafen – langsam gibt es aber auch englischsprachige Speisekarten. Lernt man jedoch das kyrillische Alphabet, kommt man mit viel Zeit schon weit. Auch hier hat Putin ein Machwort zu den Moskowitern gesprochen: die Stadt möge freundlicher werden! Slava Bogu! So Gott will. Aber da die Moskowiter ihre Stadt lieben, wird sich das auch auf Dauer durchsetzen, wie es auch auf einigen Plakaten am Kiewsker Bahnhof steht; my lubim moskvu! Wir lieben Moskau!

Moskau ist ungeheuer selbstironisch
• So die „Militärmusik“ - gehört und gesehen von der schnittigen Blaskapelle im Alexandergarden am Roten Platz. Einige alte Menschen lassen es sich nicht nehmen darauf zu tanzen. Plötzlich wandelt sich die Militärmusik - mir nichts dir nichts und ohne Vorwarnung- in eine Jazzband um, mit einstudierten Live-Acts und Choreographien der Trompeten. Und die alten Tanzpaare passen sich ebenso schnell an und schwingen ihr Tanzbein dem neuen Takt entsprechend.
• Und trotz der erdrückenden Nähe des bedeutungsschweren Kremls lassen es sich einige nicht nehmen in den Springbrunnen zu baden - am Ausläufer des Alexandergartens direkt vor der teuren Einkaufspassage „Manege“, das eigentlich insgeheim u.a. ein Laufsteg für die Reichen und Schönen ist.
• Geheiratet wird hier am Fließband, aber auch geschieden. Ersteres lässt sich an der Häufigkeit der vorbei rauschenden angemieteten Limousinen erkennen, die am Wochenende an unserer nicht kleinen Straße an den russischen Filmstudios vorbeifahren. Besonders gut gefällt mir in diesem Zusammenhang die Anmietung einer 8-fenstrigen weißen Limousine, die MAFIA auf ihrem Nummernschild stehen hat.

Moskau ist phlegmatisch
Die aus Tschetschenien stammende Warnung vor einem Terroristenanschlag machte anscheinend nur auf mich Eindruck, die Moskowiter nehmen das eher wie die Warnung eines aufziehenden Tiefdruckgebiets wahr – „Gut, dann morgen halt nen Schirm einpacken!“

Moskau ist der Nabel der Welt, aber da können ja auch nicht alle leben! – so die Einstellung vieler Moskowiter. Allerdings sollte man es gesehen und ansatzweise erlebt haben. Denn hier entsteht was, und man hat das Gefühl die Aufbruchstimmung greifen zu können oder zumindest sie beobachten zu dürfen. Übrigens: Moskau ist eine Reise wert – und mit dem Flugzeug nur 2,5 Stunden von München entfernt.

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München...
... ist begeistert von Anna's Online-Reise-Tagebuch!
Vorfreude auf viele weitere interessante und liebvoll unterhaltsam beschriebene Tage aus Moskau und Kasachstan macht sich breit. Big sister is watching you, if you like it.

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Die Technik machts möglich!
Zum Glück gibts das WWW!
So kann man, wenn mal mal Zeit hat, schauen was die Barthsche Anna in Russland so treibt!
Liebe Grüße von deinen Engeln aus Bamberg!

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inmoskau.de
kann mir jemand sagen, wie man in den moskau blog auifgenommen werdenkann

norbert.wu@arcor.de

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ich hoffe, doch einfach und unkompliziert
soweit ich weiß, einfach nur oben auf "anmelden" und dann munter kommentare schreiben.

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(Hm, also das mit den " in 500m Höhe Fussball" nicht ganz beim Wort nehmen, das waren eher "gefühlte" 500m. Denn von unten sieht die MGU ziemlich hoch aus. Und ich weiß ja auch nicht, ob ich nicht einer "urban legend" erlag, wobei der Informant sehr vertrauenserweckend ist;-)

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