Sonntag, 27. August 2006
All die Zeit, die mir bleibt...
Ich kann es selbst kaum glauben: die sieben Wochen hier sollen schon vorbei sein? Wo ist das Loch, in das die Zeit fällt? (Und weil wir gerade bei unaufgeklärten Mysterien sind: Wo ist der jeweils zweite Socken, der aus der Waschmaschine nicht zurückkommt?)

Dabei fühle ich mich hier mittlerweile sehr wohl, beinahe vertraut. Es ist „normal“ und „alltäglich“ sich am Wochenende abends am Roten Platz mit Freunden zu treffen, um dann weiter zu ziehen, und am Kreml und am Lenin-Masoleum vorbeizulaufen. Oder auf der Twerskaja Uliza abends vor oder nach dem Weggehen noch einen Bliny zu essen (Günstig und sehr lecker!). In meinen Kopf reiht sich diese Alltäglichkeit der „Sehenswürdigkeiten“ in andere Alltäglichkeiten eines städtischen Lebens ein. So steht nun der „Rote Platz“ in meinem Kopf neben dem „Gabelmann“ in Bamberg oder der „Stachus“ in München. So hat Moskau mich absorbiert – wie umgekehrt. Habe meinen ganz eigenen Moskauer Stadt-Text gesponnen. Ich bereue es ein wenig, hier nicht ein Semester im Studium verbracht zu haben und nehme mir ganz fest vor, diese Stadt nochmals aufzusuchen. Überlege gerade, ob Moskau wie Kaffee ist. Anfangs ist man sich nicht sicher, ob es einem gefällt und dann ist man davon abhängig ;-) und genießt es.



Allerdings ist mir klar, dass ich nur einen sehr kleinen Teil Moskaus kennen gelernt habe. Und nur eine der vielen Realitäten. Ich kenne kaum die Vorstädte und wie das Leben innerhalb der Wohnblocks aussieht. Leider verpasse ich auch den Geburtstag der Stadt Moskau am kommenden Wochenende, und somit den Eindruck wie die Öffentlichkeit sich selbst feiert. Jedenfalls wird im Vorfeld stark dafür geworben in farbenfrohen Plakaten, die die Straßenränder und die Schaufenster zieren. Ein Zigeunertaxifahrer versuchte mir zu erklären, welchen Stellenwert dieser Tag habe: Der Geburtstag der Stadt Moskau wird ebenso herzlich gefeiert als handele es sich um eine reelle Person. Auf allen wichtigen Plätzen, Straßen und Parks. Moskau wird dieses Jahr 859 (wenn ich die vorbeirasenden Schilder richtig gelesen habe). Ich werde zum Geburtstag mal anrufen, wenn ich schon nicht da sein kann.

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Donnerstag, 24. August 2006
dorthin wo das erdöl wohnt
Leider bin ich nur noch eine Woche in Moskau, um dahin zu gehen wo das Erdöl wohnt. Genauer gesagt:ich fliege. Nach Kasachstan.

Dabei gibt es hier in Moskau noch so viel zu erkunden. Ich werde mir Mühe geben, noch ganz viel aufzusaugen und wahrzunehmen.

Wollte man mit nur zwei Wörtern Moskau beschreiben, oder begründen, weshalb man hierher kommen sollte, so erlaube ich mir einen Rückgriff auf den Werbeslogan der Süddeutschen Zeitung, der zufällig beide oben genannten Bedingungen erfüllt: "ENTDECKER GESUCHT!".

(Fortsetzung folgt)

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Donnerstag, 17. August 2006
Neulich in der "Karma Bar" - zwischen Asien und Europa
Samstag abend, in der „Karma Bar“, unweit der Duma und dem Bolschoj Theater. Eigentlich wollten wir nicht unbedingt in den durchaus nett gestalteten aber ungemein verschachtelten Klub. Denn es gab einige sehr nette Alternativen, zumindest was deren Beschreibung anbelangt. Trotzdem war die Nacht sehr aufschlussreich wegen Dima, einem russichen Wirtschaftsjuristen, der sich wohl auch hierher verlaufen hatte. Sarah, Anna B. und ich trafen ihn auf einer der wenigen freien Sitzmöglichkeiten in der überfüllten Lokalität: den Stufen der Paradetreppe nahe den WCs und den Outfit-Kontrollblick-Spiegeln.

Aufschlussreich waren v.a. seine Standpunkte, die sich wie folgt aneinanander reihen lassen: Erstens: Sankt Petersburg ist nicht /repräsentativ für/ Russland, da zu "europäisch". Zu viele Produkte seien mit Schriftzügen fremder Sprachen verziert. Und zweitens: Russland ist Asien. Und genau an diesem Punkt begann unser Schlamassel: Was ist also Russland? Eher Europa oder eher Asien? Ein Kompromiss oder ein Rückgriff auf die „goldene Mitte“ zwischen beiden Polen ist auch nicht möglich. Denn „Zentralasien“ ist es bestimmt nicht. Geographisch unterscheidet man in einen europäischen Teil und einer asiatischen Teil Russlands. Aber für Russen (im europäischen Teil), so mein Eindruck, ist Russland einfach RUSSLAND, das keiner anderen, oder übergeordneten Kategorie bedarf.

Dima hat uns auf ein Bier eingeladen, obwohl wir doch gar keines wollten, und das wir dann doch sehr genossen. Es war ein tschechisches Bier. Apropos Bier. Zu Bier knabbert man oft getrocknete, fein geschnittene Tintenfischstreifen. Ich bin da ein großer Fan von! Allerdings konnte ich bisher nur wenige mit dieser Sitte anstecken. Meine Vision: der Aufbau eines Importhandels der getrockneten Meeresfrüchte in die dichteste Bierbrau-Region der Welt (Parameter ist die Anzahl der Bierbrauereien): Nach Franken. Wobei warum eigentlich nicht nach Kiel, HH und Flensburg? Wen dieser geschmackliche Test interessiert, einfach mal in einen russischen Lebensmittelladen reinspitzen.

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Mittwoch, 16. August 2006
lesens-wert und lebens-wert
Einen sehr treffenden Artikel über Moskau lässt sich unter folgendem Link der Moskauer Deutschen Zeitung nachlesen: http://62.5.183.114/Leben_in_Moskau/2006/07/29/16.37.27.htm

Und trotzdem! Ich empfinde Moskau als eine sehr ehrliche Stadt, da sie nicht versucht, irgendetwas zu vertuschen. Nur wenig wird geschönt und weich gespült dargestellt. Außer nachts, wenn alles beleuchtet ist. Dann erinnert Moskau an Paris - wegen der vielen Brücken über die Moskwa und den Blinys. (Diese These stammt von Bonsai-san). Und - hier ist alles möglich. Aber eben auch das Gegenteil.

Großer Mann mit fliegendem Vogel

Ich überlege gerade mit welcher deutschen Stadt man das Moskau-Stadtgefühl am besten vergleichen könnte. Hat wer Vorschläge? Denn ich bin aus Süd-Deutschland nie weggekommen. Bis auf meinen Ausreißer nach Oldenburg.

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Montag, 14. August 2006
Kühlschrankmord, Malewitsch und evtl. Jellinek
Weil einige nachgefragt haben: nein, ich habe keinen Kühlschrankmord begangen. Aber ich habe jetzt den Kühlschrank ins Bad verbannt. Ungwöhnlich, aber ungemein wohltuend.

Gestern haben das "japanische Bäumchen" und ich DAS schwarze Quadrat von Malewitsch gesehen (neben den anderen Kunstwerken der russischen Moderne u.a. ein gewisser Kandinsky und Jawlensky) ! In der Tretjakov-Galerie. Hätte mich beinahe vor dem schwarzen Quadrat niedergekniet - immerhin habe ich ein ganzes Semester lang einer Vorlesung über den russischen Konstruktivismus gelauscht. Und nun hang es vor mir: im wahrsten Sinne des Wortes: Schwarz auf (beinahe) weiß. Der Grundgedanke der Konstruktivisten: Die Form ist wichtiger als/ ebenso wichtig wie der Inhalt. Und Kunst ist eine Art Laboratorium der Moderne. Daher dem "Bauhaus" nicht ganz unverwandt, da sich auch hier die Form der Funktion unterordnen sollte. Aber ehrlich gesagt, muss ich mich da noch mal genau einlesen, denn in meinem Kopf verschwimmen die Übergänge zum Konzeptualismus. Und schließlich bin ich ja keine Kunsthistorikerin.

Ganz kurz zu einem etwas profaneren, Anliegen: Bier darf man in der Öffentlichkeit in Russland überhaupt gar nicht trinken. Das hat nichts mit "öffentlichen Plätzen mit tendenziellen Gedenkcharakter" zu tun. Ein Rechtsphilosoph (@A-VG:Jellinek?) war der Ansicht, wenn ein Gesetz von dem Großteil der Menschen (bei dieser Regel 70% der BV) untwerwandert wird, dann habe es auch keinen Sinn, es weiterhin durchsezten zu wollen. Aber hätte ich das der Miliz gesagt, dann wären Anna und ich wohl nie losgekommen. Einige trinken daher Alkohol "po-amerikanskij" - in umhüllten Flaschen, aber nur wenige machen sich diese Mühe.

Patriotisches Selbstporträt an den Moskauer Filmstudios

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Donnerstag, 10. August 2006
Straßen, unssichtbare Linien und das Lachen
Die gefährlichen Straßen
Weder die wie Sprühregen herunterfallenden rot-orangen Funken einer Baustelle nahe an der Moskwa, noch die 6-spurige Innenstadtautobahn konnten unsere jungen Moskauer abhalten uns zu begleiten wenn auch nur widerwillig. Wahrscheinlich glauben sie, dass junge deutsche Mädchen eher lebensmüde sind und kein Spaß am Leben haben. Uns, das sind Anna und ich, die einen wunderbaren Nachnamen hat. Mittlerweile sind wir 3 Annas auf dem Compound und bei Telefonaten mit russischen Behörden oder Partner, ist es mir nun schon 2mal passiert, dass ich beim Kosenamen genannt wurde. Allerdings nur von Frauen: Anja, Anuschka, Anitschko. Ehrlich gesagt, finde ich das nett. Genauso wie der Taxifahrer, der uns Annas entweder mit „meine Schönheiten“ oder „mein Sonnenschein“ ansprach. Als ich mich an seine Art zu kommunizieren assimilierte, und ihn ebenso nannte, bestand er zumindest auf die männliche Form des Wortes. Aber das ließ er dann durchgehen. Anna B. und ich haben deswegen nicht mehr und nicht weniger bezahlt und haben quietschvergnügt das Zigeuner-Taxi verlassen.

grafiti nahe der moskauer filmstudios

Und Regeln, die nicht für jeden gelten
Bier ist hier eigentlich kein Alkohol, betrachtet man die herumziehenden jungen gut gekleideten Schönheiten die es eher als Accessoire verstehen. Trotzdem darf man es auf öffentlichen Plätzen (die einen Gedenkcharakter haben) nicht trinken - aber 1 Meter daneben schon.Das weiß man weil man ja das russische Strafgesetzbuch gelesen hat und obwohl keine Verbotsschilder da sind. Und wenn alle auf den umliegenden Grünflächen Bier trinken ist das auch OK, aber eben nicht hinter der geheimnisvollen Linie.

Das herzliche Lachen
In der Öffentlichkeit, sprich in Metros, Plätzen und auf Bürgersteigen werden kaum die Lachmuskeln bewegt. Man ist hier nicht grundlos gutgelaunt kommt man aber ins Gespräche entfaltet sich ein sehr trockener, aber herzlichen Humor. Diesem werde ich mich jetzt (und am Wochenende) voll und ganz aussetzen, weil wir uns in netten Hinterhofkneipen und Cafés treffen, die mit dem „Trachtenvogel“ und dem „Gap“ in München oder „Der Rampe“ in Bamberg 3mal mithalten können. Einen Eindruck gewährt die Homepage der Stadtzeitung www.afisha.ru.

So, nun nehm ich aber mal die Beine in die Hand denn
ein "japanisches Bäumchen" wartet auf mich am Roten Platz - oder was weiß ich wo.

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Dienstag, 8. August 2006
Die ersten Bilder

Abends in der Puschkinskaja

einer der vielen einnehmenden metrostationen

grafiti auf dem arbat

die hochhaeuser im loeschteich

liebespaar am sperlingsberg

blick auf moskau vom sperlingsberg an der lomonossov-uni

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Sonntag, 30. Juli 2006
Moskau –
Ich bin begeistert, Moskau ist alles andere als langweilig. Die Stadt ist von einem geheimnisvollen und mehrfachen Wandel erfasst: überall wird gebaut, der kurze Sommer hier muss genutzt werden, die wachsende (aber ungerecht verteilte) Wirtschaftskraft entfaltet sich, die Jugend ist stark ausdifferenziert und hat ihren eigenen Kopf und Stil, die sich in Grafittis, In-Kneipen und Openair- Konzerten ausdrücken ... So wird berichtet, dass Studenten auf dem Dach der sagenumwobenen GMU/ Lomonossov-Universität Fussball spielen! In 500m Höhe. Mit Blick über Moskau.
und endlich: die sagenumwobene Staatliche Moskauer Universität
Man hat hier das Gefühl, dass alles möglich ist. Diese Stadt lebt. Übrigens: Moskau ist eine Reise wert – und mit dem Flugzeug nur 2,5 Stunden von München entfernt.

Moskau ist teuer – aber hallo!
Immer noch erliege ich dem Trugschluss, dass wenn ein Preis ein Mehrfaches als der €-preis ist, das Produkt aufgrund der bestimmt inflationären Währung verdammt günstig sein müsste. Falsch – würde man sich dieser leicht euro-zentrischen Voreinstellung befreien, und ganz objektiv die Preise betrachten, fiele einem auf, dass vieles kaum günstiger – und bestimmt meist teuer ist... Ganz zu schweigen von gewissen Bars, in denen die bysnessmeny verkehren.
Da kostet dann ein Bier so 800 Rubel, also 22,56€. Nein, München ist nicht teuer.

Moskau ist schnell und laut
• Moskau ist vor allem laut: insbesondere mein Kühlschrank, die Straßen, der Verkehr und das turtelnde Krähenpärchen, das sich ihr Liebesnest auf dem Botschaftsgelände gesucht hat – direkt vor meinem Zimmer. Da ich zu einer der Lärm unempfindlichsten Tiefschläfer gehöre, ist das durchaus beachtlich. Den Kühlschrank aus zustecken, bringt nur Ärger, so leben der Kühlschrank und ich in hasserfüllter Koexistenz, und er genießt jeden Augenblick in dem er wieder Anlauf nimmt um sich wieder herunter zu kühlen – alle 10 Minuten! Zu jeder Tages- und Nachtszeit. Diesen Exkurs über meinen Kühlschrank ist nur so zu erklären: das hier ist ein Egodokument, und dies sind auch leider nur Eindrücke und nicht Einblicke.
• Taxifahrten sind multifunktional, günstig, schnell und sehr aufschlussreich, denn man lernt die Straßen Moskaus kennen, neue Verhandlungsstrategien, wie man auf keinen Fall Auto fahren sollte und man lernt die zu Stoßzeiten überfüllten Metros schätzen. Aber die Preise sind fair.
• Wo ich gerade beim Thema bin, das gefährlichste in Moskau ist der Verkehr. So soll es in dieser Stadt pro Jahr 13.000 Verkehrstote geben. Gott sei dank, hat der sich um alle und alles sorgende Putin und der Bürgermeister der Stadt Moskau, dies auch schon bemerkt und wollen entschieden dagegen vorgehen – und Fußgänger verbieten? Nein, natürlich nicht, sondern Strafen für Raser einführen- aber wie eine ganz rasende Stadt bestrafen? Wir sind gespannt.

Moskau ist langsam – ist Moskau langsam?
Vor allem seine Menschen und der Dienstleistungssektor (dazu später noch mehr). Dies bitte ich positiv zu verstehen, denn man hetzt nicht so. Öffentliche Plätze arten nicht in ein geheimes zielloses Wettrennen aus. Vielleicht ist es auch nur meine Wahrnehmung, da Moskau in der slawischen Literaturwissenschaft eher als langsam, statisch und klassisch beschrieben wird- im Gegensatz zum brodelnden Sankt Petersburg.

Moskau ist international und gleichzeitig russifiziert
• Hier sind viele Ausländer, sowohl aus GUS-Staaten, aus Zentralasien, Afrika und Asien: aber eben auch aus Europa – allerdings vergleichsmäßig wenig russophile Deutsche im europäischen Vergleich. Sushi essen ist hier schon längst nicht mehr in, sondern üblich. Es gibt so viele japanische Restaurants wie bei uns Italiener. In Bahnunterführungen kann man afrikanische Kleidung kaufen, und Döner gibt’s auch überall – und nicht nur in kebeb xaus. (x = ch).
• Theater: war jetzt in Tschechovs „Kirschgarten“ und den „3 Schwestern“ im Majakovskij-Theater – inszeniert von einem Litauer. Das wirklich spannende: die Stücke wurden auf Litauisch vorgetragen und wir hatten Ohrstecker mit russischer Übersetzung im Ohr. Gastspiele aus aller Welt sind gang und gebe, aber dass ein ehemals „kleiner Bruder“ in dessen Landessprache ein russisches Stück spielt? Der einzige Wehmutstropfen an diesem Abend – ein sehr gutes Open-Airfestival der Stadtzeitung Afisha fand zeitgleich statt. Wie gut, dass die anderen es nicht gefunden hatten. Und mir nur Julia vorschwärmte.
• Bei meinen häufigen Besuchen in Lebensmittelgeschäften stoße ich auf alle Sorten Bier, sogar Franziskaner und Spaten, nur der August ist nicht im Sortiment. (@Anne + Edwin: aber ein Bier vom Hohenlohe-Kreis).
• Eine kurze Bemerkung zur Jugend und Damenwelt. Beide, v.a. die Schnittmenge aus beiden, haben nun den internationalen, für Russland noch unüblichen burschikosen H&M-Stil für sich entdeckt – und wir kommen mit Turnschuhen in Tanzlokalitäten und stellen ganz ungewollt eine Kleidungs-Avantgarde dar.
• Politisch gesehen, sind sowohl vereinheitlichende Tendenzen am Werk – siehe den Erlass des Terroristengesetzes und des Journalistengesetzes , aber eben auch fleißige NGOs und Wahlalternativen. Beides nachvollziehbar, verfolgt man die Diskussionen was nach Putin, dem starken Mann, kommen wird. Bezüglich der Sprachpolitik bewegt sich Russland nur langsam, Mehrsprachigkeit ist zwar meist der Alltag der Menschen der GUS-Staaten, aber die Bildungspolitik Russlands richtet sich nur langsam auf internationale Standards aus.
• Auch bemüht sich Moskau nicht gerade um Touristen: fast nichts ist in einer Fremdsprache wie Englisch oder Französisch ausgeschrieben. Nur am Flughafen – langsam gibt es aber auch englischsprachige Speisekarten. Lernt man jedoch das kyrillische Alphabet, kommt man mit viel Zeit schon weit. Auch hier hat Putin ein Machwort zu den Moskowitern gesprochen: die Stadt möge freundlicher werden! Slava Bogu! So Gott will. Aber da die Moskowiter ihre Stadt lieben, wird sich das auch auf Dauer durchsetzen, wie es auch auf einigen Plakaten am Kiewsker Bahnhof steht; my lubim moskvu! Wir lieben Moskau!

Moskau ist ungeheuer selbstironisch
• So die „Militärmusik“ - gehört und gesehen von der schnittigen Blaskapelle im Alexandergarden am Roten Platz. Einige alte Menschen lassen es sich nicht nehmen darauf zu tanzen. Plötzlich wandelt sich die Militärmusik - mir nichts dir nichts und ohne Vorwarnung- in eine Jazzband um, mit einstudierten Live-Acts und Choreographien der Trompeten. Und die alten Tanzpaare passen sich ebenso schnell an und schwingen ihr Tanzbein dem neuen Takt entsprechend.
• Und trotz der erdrückenden Nähe des bedeutungsschweren Kremls lassen es sich einige nicht nehmen in den Springbrunnen zu baden - am Ausläufer des Alexandergartens direkt vor der teuren Einkaufspassage „Manege“, das eigentlich insgeheim u.a. ein Laufsteg für die Reichen und Schönen ist.
• Geheiratet wird hier am Fließband, aber auch geschieden. Ersteres lässt sich an der Häufigkeit der vorbei rauschenden angemieteten Limousinen erkennen, die am Wochenende an unserer nicht kleinen Straße an den russischen Filmstudios vorbeifahren. Besonders gut gefällt mir in diesem Zusammenhang die Anmietung einer 8-fenstrigen weißen Limousine, die MAFIA auf ihrem Nummernschild stehen hat.

Moskau ist phlegmatisch
Die aus Tschetschenien stammende Warnung vor einem Terroristenanschlag machte anscheinend nur auf mich Eindruck, die Moskowiter nehmen das eher wie die Warnung eines aufziehenden Tiefdruckgebiets wahr – „Gut, dann morgen halt nen Schirm einpacken!“

Moskau ist der Nabel der Welt, aber da können ja auch nicht alle leben! – so die Einstellung vieler Moskowiter. Allerdings sollte man es gesehen und ansatzweise erlebt haben. Denn hier entsteht was, und man hat das Gefühl die Aufbruchstimmung greifen zu können oder zumindest sie beobachten zu dürfen. Übrigens: Moskau ist eine Reise wert – und mit dem Flugzeug nur 2,5 Stunden von München entfernt.

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Sonntag, 23. Juli 2006
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